Editorial

von Dominik Baur
Der Süden Italiens ist reich an Sonne, Fisch und Oliven, aber arm an Perspektiven: Zwischen Mafia, Kirche und Patriarchat bleibt für Neues kein Platz. Dachten wir. Dann sind wir nach Apulien gefahren.

Am Anfang waren die Klischees. Denn viel wussten wir nicht von Apulien, als die Entscheidung fiel, dass der 11. Jahrgang der Zeitenspiegel-Reportageschule für sein Auslandsprojekt dorthin fahren würde. Gerade einmal, dass es im äußersten Südosten des Landes gelegen ist, da, wo der italienische Stiefel seinen Absatz hat, dass die Hauptstadt Bari heißt und das Olivenöl besonders schmackhaft sein soll. Und das war’s dann auch schon. Achja, und hat nicht Friedrich II. dieses achteckige Schloss dort gebaut, das Castel del Monte? Aber sonst? Vor allem war da ein Bild der Trostlosigkeit in unseren Köpfen. Die Vorstellung von einem Land ohne Perspektiven, ohne Zukunft, ohne Jugend. Wer was kann, wer es zu was bringen will, der geht weg von hier. Ins Ausland. Oder zumindest in den Norden.

Und natürlich ist da auch etwas dran: 39,2 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen in Italien. In Europa ist sie nur noch in Griechenland und Spanien höher. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei 7,2 Prozent. Innerhalb Italiens ist sie im Süden am höchsten, in Apulien ist rund die Hälfte der jungen Menschen ohne Job.

Aber das Schöne an Klischees ist ja: Ihnen wohnt besonders viel Potenzial für Überraschungen inne. So hat das italienische Erziehungsministerium im August die Abschlussnoten der diesjährigen Abiturienten veröffentlicht. Ergebnis: Die meisten hochbegabten jungen Menschen leben in Apulien, Kampanien, Sizilien und Kalabrien. In dieser Reihenfolge. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb auf Seite 1 unter der Überschrift „Im Süden schlauer“: „Italien staunt: Der Mezzogiorno hat die besten Abiturienten.“

Ein Staunen, das wir gut nachvollziehen können. Waren doch die elf jungen Journalisten der Zeitenspiegel-Reportagesschule während ihrer zehntägigen Apulienreise einigem begegnet, was so gar nicht in das Bild eines Landstriches passen wollte, der sich angeblich schon selbst aufgegeben hatte: Einer blühende Filmindustrie zum Beispiel. Oder einem Architekten, der im Norden bereits Karriere gemacht hatte und doch zurück in die Heimat kam, um hier etwas zu bewegen. Einem Sternekoch, der seine Gäste mitten im Industriegebiet der Küstenstadt Monopoli empfängt. Menschen, die einen leisen, aber vielversprechenden Kampf gegen die Mafia führen. Und Fischern, die der Krise trotzen, indem sie ihre Ware über Whatsapp direkt an den Endkunden verkaufen.

In Teams waren die Reporter im Mai losgezogen, haben recherchiert, gefilmt und ihre Geschichten schließlich in fünf großen multimedialen Reportagen verarbeitet. In der Videorubrik „Mitbringsel“ stellen sie uns darüber hinaus die eine oder andere apulische Spezialität vor: Tomaten, die sich Frank Sinatra sogar nach New York liefern ließ; Rundhäuser aus Stein, die sogenannten Trulli, die es nur hier gibt; oder einen Ohrwurm, der abheben lässt.

„Saluti dalla Puglia“ („Grüße aus Apulien“) heißt die virtuelle Ansichtskarte, die die Schüler aus Apulien geschickt haben – ein Spiel mit den Klischees, die wir mit im Gepäck hatten, um sie vor Ort zu hinterfragen. „Saluti dalla Puglia“ lädt Sie ein zum Lesen, zum Schmökern und zum Staunen.