Der Hund ist zu schön. Das schwarz-weiß gescheckte Fell des Border Collies schimmert in der Sonne, es ist so weich wie das eines Plüschtiers. Der Regisseur ist sauer, er will einen alten, lahmenden Köter, mit stumpfem Fell und Mundgeruch. „Der hier ist viel zu perfekt!“, ruft er, eine Tonlage zu hoch. Seine Hände formen eine Raute, die er hektisch auf und ab bewegt.
Fabio Riondino lässt die Tirade über sich ergehen. Eine Sonnenbrille verdeckt seine Augen, seine Lippen sind verkniffen, seine Schultern verkrampft. Mit seinen ein Meter fünfundachtzig ist er so groß, dass er auf die meisten Gesprächspartner herabschauen muss – so auch auf den Regisseur, seinen Chef.
„Kein Problem“, sagt Fabio mit ruhiger Stimme, die Hände in die Hüfte gestützt. „Der Hundetrainer besitzt noch einen zweiten Hund. Der ist 14 Jahre alt und kann kaum noch laufen.“
„Super“, freut sich der Regisseur und klatscht in die Hände. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“
„Hab’ ich doch“, entgegnet Fabio. „Ich hab’ dir vorgeschlagen, beide Hunde ans Set zu bestellen.“ Sein Rücken strafft sich, er wird noch größer.
Jobbeschreibung: Problemlöser
Der Regisseur zuckt die Achseln, friemelt an seinem Strohhut herum und geht murmelnd ab. Ärger ist Fabio gewohnt. „Mein Job ist es, Probleme zu lösen.“ Fabio ist 32 und arbeitet als Produktionsassistent an einem Filmset. Gedreht wird ein Spielfilm über Kleinkriminelle und einen (fiktiven) Papst, der einen Zoo gründen will, angelehnt an die Arche Noah. Regisseur ist Edoardo Winspeare, acht Filme hat er bereits gedreht, zwei liefen auf der Biennale von Venedig und der Berlinale. Winspeare dreht fast ausschließlich in Apulien, seiner Heimat.
Filmproduktion ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Apulien. Hier werden so viele Filme produziert wie in keiner anderen italienischen Region, Rom und seine Cinecittà ausgenommen.
Zu verdanken ist das dem früheren linksliberalen Ministerpräsidenten Nichi Vendola. Die Region übernimmt ein Viertel der Kosten, wenn in Apulien gedreht und die Crew zu einem Großteil vor Ort rekrutiert wird. Der Output ist gewaltig: 370 Filme sind seit Gründung der Apulia Film Commission 2007 entstanden, darunter viele internationale, so auch ein indischer, den 400 Millionen Inder sahen. Eine französisch-italienisch-englische Koproduktion – mit Salma Hayek in der Hauptrolle – war sogar für den Golden Globe und die Goldene Palme von Cannes nominiert.
Ein Job beim Film hat ihn nie interessiert
Fabio hat nie vom Film geträumt, weder als Schauspieler noch hinter den Kulissen. Ein paarmal hat er vorgesprochen, halbherzig und erfolglos. „Ich schaffe es nicht, meine Emotionen zu kontrollieren.“ Anders sein Bruder Michele. Der ist ein bekannter Schauspieler in Italien, seit 2012 spielt er den Kommissar in einer Krimiserie der staatlichen Rai.
Jede Familie in Taranto hat mindestens ein Mitglied durch Krebs verloren.
Fabio wäre gern Fußballspieler geworden, doch für eine Profikarriere hat es nicht gereicht. An ein Studium war nicht zu denken, schon als Schüler hatte er große Probleme. Nur knapp schaffte er den Berufsschulabschluss, Schwerpunkt Buchhaltung, und heuerte danach bei ILVA an, der größten Stahlfabrik Europas. „Klar landest du früher oder später da, jeder bei uns ist froh, wenn er Arbeit hat.“ Fabio stammt aus einem Problembezirk in Taranto. Der Vater arbeitet ebenfalls im Stahlwerk. Fabios Bruder blieb der Stolz der Familie. „Ich habe immer Probleme gemacht“, sagt Fabio.
Drei Jahre arbeitete Fabio bei ILVA, meist an Koksöfen, bei Temperaturen um die 1200 Grad. Gefährlich sind auch die giftigen Dämpfe. „Jede Familie in Taranto hat mindestens ein Mitglied durch Krebs verloren“ sagt er. In seiner Familie traf es einen Cousin, der mit knapp vierzig starb.
2010 ging das Subunternehmen pleite, über das Fabio bei ILVA angestellt war. Er sah darin eine Chance, 1600 Euro Lohn – Nachtschichten eingerechnet – waren zu wenig, wenn man wie er auch noch ein Kind durchbringen muss. Von der Mutter des Kindes lebte er damals schon getrennt, es gab viel Streit. Fabio fühlte sich überfordert, bei der Geburt des Kindes war er erst 18. Damals wie heute kümmern sich seine Eltern häufig um das Kind.
Über die Fleischtheke zum Filmset
Das neue Leben fühlte sich kaum besser an als das alte, eine Perspektive sah Fabio nicht, zum Träumen fehlte ihm die Zeit. Er jobbte als Verkäufer in einer Metzgerei. Sein Bruder bot ihm immer wieder an, ihn nach Rom zu holen, zum Film. Irgendwann sagte er zu, auch wenn ihm die Entscheidung nicht leicht fiel.
Am Filmset arbeitet er umso härter, alle sollen wissen, dass er sich nicht auf dem Ruhm seines Bruders ausruht. Er beginnt als Springer, dem letzten Glied der Kette bei jeder Filmproduktion, vier Jahre ist das jetzt her. Recht schnell steigt er zum Produktionsassistenten auf. Man empfiehlt ihn weiter, so lernt er Edoardo Winspeare kennen. Zunächst arbeiten sie zusammen an einer Fernsehserie, dann engagiert ihn Winspeare für seinen neuen Spielfilm.
Fabio kommt das gelegen, das Filmset ist nur zwei Stunden von seiner Heimatstadt Taranto entfernt. Dadurch kann er jedes Wochenende seine Familie sehen. Inzwischen hat er drei Kinder, die beiden jüngeren – fünf Jahre und zwei Monate – stammen von seiner Jugendliebe, die er nach zehn Jahren wieder getroffen hat.
Unter der Woche beschränkt sich sein Leben auf die Arbeit, oft wird zwölf Stunden lang gedreht, auch samstags. Von früh bis spät hängt er am Walkie Talkie, sorgt dafür, dass die Schauspieler rechtzeitig am Set auftauchen, die Kostüme bereitgestellt werden und das Catering für die 60-köpfige Crew steht. Er klingelt bei Anwohnern und lässt sie Autos umparken, wenn die LKWs der Filmproduktion nicht durch die Gassen passen, und organisiert Sonnenschirme, damit sich die Schauspieler nicht bräunen, ihr Teint muss in jeder Szene die gleiche Tönung haben.
Fabio lebt am Set, wie die gesamte Crew. Untergebracht ist er in einem Trullo, einem für die Region typischen Steinhaus. Es liegt mitten in einem Naturreservat, es gibt keine richtigen Straßen, nur Sandwege, die Adresse besteht aus Koordinaten. Ab und zu stehen Touristen vor seiner Tür, auf der Suche nach einem Wanderweg.
Alles im Trullo ist provisorisch: kein Licht im Bad, tragbare Kochplatten, eine Leiter als Kleiderständer. Fabio ist das egal, vor zehn kommt er eh nie nach Hause. Am Monatsende bekommt er 2700 Euro netto. „Das ist hier viel Geld“. Luxus ist für ihn dennoch nicht drin, ernähren muss er zwei Familien.
Ob ihm sein Job Spaß macht? Er muss lachen. „Ja, kommt vor.“ Film ist für ihn lediglich ein Mittel zum Überleben. Sein Vorgesetzter, der Leiter der Logistik, ist zufrieden mit ihm, bezeichnet ihn als „bemüht und fleißig“, allerdings müsse er noch „selbstständiges Denken“ lernen.
Sein größter Wunsch? Anerkennung von seiner Tochter
In seiner Freizeit guckt Fabio kaum Filme. Aber bei der US-Serie „Breaking Bad“ zu arbeiten würde ihn schon reizen.
Auch wenn Produktionsassistent nie sein Traumjob war, ein wenig stolz könnte seine älteste Töchter, mittlerweile zehn, schon auf ihn sein, findet er. „Für sie ist es das Normalste der Welt, dass man – wie ihr Vater und ihr Onkel – beim Film arbeitet.“
Aber den Zoo wird sie mögen. Den hat er in den vergangenen drei Wochen zusammengestellt, um die zwanzig Tiere werden benötigt: Pferde, Esel, Schlangen, Krokodile. Und ein Papagei. Keine Kleinigkeit am Stiefelabsatz von Italien.
Morgen sollten eigentlich alle Tiere am Set sein, doch der Wetterbericht hat Regen vorhergesagt und zwingt Fabio, in Windeseile umzudisponieren. „Im Problemlösen bin ich mittlerweile geübt, im Job vielleicht mehr als privat.“