Foto: Katharina Dippold

Luana Stramaglia

Gemein­schafts­küche

Nicht nur Technik kann innovativ sein, sondern auch eine kleine Trattoria, zumindest wenn es nach Luana Stramaglia geht: Aus dem Hobby ihres Großvaters machte sie ein Geschäftsmodell: Nun kochen bei Fork in Progress in Foggia Senioren aus dem Altersheim und junge Azubis Hand in Hand.

Gastronomie-Erfahrung hatte Luana Stramaglia keine, als sie das Projekt Fork in Progress ins Leben rief. Stattdessen hatte sie Politikwissenschaft studiert und die letzten Jahre in Andalusien und Genf verbracht. Wie also kam es zu der Idee? „Das war eigentlich ziemlich simpel“, antwortet die 29-Jährige, die dunkeln Locken wippen um ihr Gesicht. „Mein Opa hatte einen Unfall und war vom einen auf den anderen Tag auf einen Rollstuhl angewiesen. Da suchte er nach einer neuen Beschäftigung und entdeckte schließlich das Kochen für sich.“

Eine Erfahrung, die bestimmt noch mehreren Menschen aus der Einsamkeit helfen könnte, überlegte sich Luana und bewarb sich mit dem Konzept für einen Start-Kredit bei der Region. 45.000 Euro hat sie von der Initiative Bollenti Spiriti für die Idee ad hoc bewilligt bekommen, außerdem hat sie 2012 die Ausschreibung des Förderprogramms Principi attivi gewonnen, mit dem die Region Apulien junge Unternehmer unterstützt. Das brachte weitere 25.000 Euro ein. Aber auch für die laufende Miete wird ihr mit Geld von den Fördertöpfen ausgeholfen.

Fast wie in einer Familie

Michele Raspatelli ist im Stress. Gerade erst hat er für seine Neffen das Mittagessen vorbereitet, nun steht er schon wieder vor einem Topf mit sprudelndem Wasser. Aber Hektik ist in der Küche kein guter Ratgeber – bedächtig lässt er deswegen eine Blumenkohlrose nach der anderen in dem großen Topf versinken. Nur wer genau hinsieht, erkennt, dass die faltige Hand leicht zittert. Michele Raspatelli ist 78 Jahre alt. Auf der anderen Seite der Küche steht Mariarca Cavaliere – ein 17-jähriges Mädchen mit großer Kochmütze und langem Zopf. Ihre dicken Brillengläser sind vom Dampf schon ganz beschlagen. Dem Schinken aber, den sie gerade schneidet, sieht man das nicht an: Ein kleiner Haufen von dünnen, akkuraten Streifen türmt sich auf dem Schneidebrett. „Brauchst du noch mehr, Nonno Michele?“, ruft sie laut durch den Raum. Fast jeder nennt ihn hier so: „Nonno Michele“ – Opa Michele. Sogar auf seiner Schürze steht das so eingestickt.

Heute stehen Taralli auf dem Plan: Kleine, typisch apulische Teigkringel, die gerne zum Aperitiv oder zu den Antipasti gereicht werden. Es ist kurz vor elf Uhr, spätestens in zehn Minuten wird der Bus mit den Senioren eintreffen. Denn Nonno Michele ist der einzige der „Alten“, der nicht aus dem Heim gebracht wird. Er ist noch so fit, dass er nach dem Tod seiner Frau nicht nur das tägliche Kochen für seine Großfamilie übernommen hat, sondern beinahe täglich auch bei Fork in Progress hilft. Die anderen Senioren aber werden einmal in der Woche aus dem Heim gebracht. Dann soll alles vorbereitet sein, denn viel Zeit haben die alten Menschen nicht. Pünktlich um 12.30 Uhr müssen sie wieder zurück im Altersheim sein.

„Mein Wunsch ist, dass beide Seiten voneinander profitieren. Die Alten haben eine Beschäftigung und können ihre Erfahrungen und die Rezepte ihrer Kindheit an die jungen Leute weitergeben. Die Jungen haben eine feste Bezugsperson. Das Projekt ist auch eine Art Kommunikationsbrücke“, erklärt Luana, während sie auf jedem Tisch Mehl verteilt. Nonno Michele zum Beispiel ist der Meinung, dass die Menschen heutzutage viel zu wenig Peperoncino essen. Für den gebürtigen Kalabresen, gehört das scharfe Chili-Gewürz eigentlich über jedes Gericht. Aber auch er gibt – zumindest von Zeit zu Zeit – neuen Geschmacksrichtungen eine Chance. Neulich hat er zum ersten Mal im Leben rote Linsen gekocht – ein Gericht mit einem arabischen Einschlag: das hatten sich die Jungen so gewünscht. Und nach anfänglichem Zögern musste er zugestehen, dass es gar nicht so schlecht geschmeckt hat. Außerdem bringen die Jungen den Alten Jugendsprache bei, wobei mitunter immer wieder skurrile Verständigungsprobleme stehen.

Das Projekt ist eine Art Kommunikationsbrücke. Luana Stramaglia

Das Kochen übernimmt bei Fork in Progress Luanas Freund Giuliano, ein studierter Philosoph und Comiczeichner, der nun jeden Morgen auf den Markt geht, um die Waren für das Restaurant zu einzukaufen. Dort werden die Sardinen einzeln filetiert, die Kräuter darf er probieren, bevor er sie kauft. Irgendwann möchte er wieder Comics zeichnen, aber im Moment genießt er die Zeit als Co-Manager eines Restaurants. Denn auch im Essen stecke viel Philosophie. „Der Mensch wird beim Essen zum Tier“, sagt er, „und je höher die soziale Stellung, desto schlechter verhält man sich am Büffet.“

Nach dieser Theorie müssten die Alten aus dem Seniorenheim früher nicht allzu wohlhabend gewesen sein – denn als sie um Punkt elf zur Tür reinkommen, sind sie nicht nur auffallend gepflegt gekleidet – manche Männer haben sich eine Krawatte umgebunden, eine Frau trägt eine dicke Perlenkette – sie sind auch von einer ausgesuchten Höflichkeit. Luana schüttelt jedem einzelnen die Hand. Die meisten Frauen setzen sich erst einmal an den Tisch und schenken sich ein Glas Wasser ein, die Männer jedoch machen sich sofort ans Werk: Hier ein bisschen Öl, da noch etwas Salz und dann wird fein säuberlich der Teig geknetet. Doch auch dafür hat Luana eine logische Erklärung: „Die Frauen mussten ihr Leben lang kochen, für die Männer aber ist es Neuland.“

Für die Frauen (wenngleich auch eine Generation jünger) hat sie sich deswegen schon eine neue Idee überlegt. Bald sollen Hausfrauen, denen zu Hause sprichwörtlich die Decke auf den Kopf fällt, das Restaurant managen – im Gegenzug werden sie am Umsatz beteiligt. Dann wären Luana und ihr Freund auch mehr entlastet, denn derzeit dauern ihre Tage von früh morgens bis 1 Uhr in der Nacht. Viel Zeit für ein Privatleben bleibt da nicht.

Pünktlich um 12.15 Uhr fährt der Reisebus vor. Wieder schüttelt sie jedem einzelnen die Hand. Die Taralli sind nun im Ofen, wo sie bei niedriger Hitze goldbraun gebacken werden. Einer jedoch steht noch immer hinter dem Herd: Nonno Michele schneidet nun ein bisschen Petersilie – die Blumenkohl-Frittata für den Hauptgang ist so gut wie fertig. Er nimmt einen letzten prüfenden Blick und greift dann zum Chilipulver: „Ich glaube, da fehlt noch etwas Peperoncino.“

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