Foto: Katharina Dippold

Monica Del Vecchio

Bilbao muss warten

Die Strukturen der Arbeitswelt sind in Apulien oft noch verkrustet. Flexible Bürozeiten, die Vereinbarkeit von Kind und Beruf? Schwierig. Monica Del Vecchio will das ändern. Und hat Apuliens ersten Coworking Space gegründet.

Am Ende scheiterte es fast an den Möbeln. „Daran hatten wir gar nicht mehr gedacht“, erzählt Monica Del Vecchio und bläst sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Die Leute sollen hier ja nicht nur arbeiten, sondern sich auch wohlfühlen.“ Und vor allem viel miteinander reden. Es mussten also nicht nur Bürostühle, sondern auch bequeme Polstersofas her. Gar nicht so einfach, wenn es schnell gehen muss und man nicht viel Geld zur Verfügung hat. Aber muss es denn unbedingt etwas Neues sein? Del Vecchio machte aus der Not eine Tugend: „Möbel, die eine Geschichte besitzen, passen viel besser zu uns und zu unserer Idee.“ Also hat sie die Flohmärkte abgeklappert und im heimischen Keller nachgeschaut.

Sie muss heute noch lachen, wenn sie daran zurückdenkt. Monica ist die Gründerin von Impact Hub Bari, Apuliens erstem Coworking-Space – einer Arbeitsform, die vor allem durch die Digitalisierung entstanden ist: Statt eines festen Büroplatzes können sich Freiberufler und Gründer in große, offene Räume einmieten und dabei nicht nur die Infrastruktur wie Drucker oder Beamer teilen, sondern auch gemeinsame Projekte verwirklichen. In den USA und auch in deutschen Großstädten gibt es mittlerweile schon vielerorts solche Flächen. Hier im wirtschaftlich abgehängten Süden Italiens aber ist Coworking echtes Neuland.

Die Zukunft beginnt in der Prärie

Die große Halle, ein schmuckloser Industriebau am Stadtrand von Bari, ist voller Schreibtische – immer wieder durchbrochen von großflächigen Sofalandschaften, am linken Rand befindet sich eine Küche, in der Mitte gibt es eine Pflanzeninsel, am hinteren Ende eine Stufenwand mit mehreren Sitzkissen. Über 150 junge, kreative Menschen haben sich hier niedergelassen – so heißt es auf der Website, an diesem Morgen sind aber nur wenige Schreibtische besetzt. Die meisten Mieter sind Startups, aber auch selbstständige Journalisten und Fotografen finden sich darunter. Eine junge Firma will Langzeitarbeitslose mit PC-Kursen fit für die Digitalisierung machen, eine Gründerin hat eine Ladenfläche mit ausschließlich apulischem Produktdesign eröffnet, wieder andere tüfteln am ‚Internet der Dinge’ – bald soll zum Beispiel die Stereoanlage die persönliche Lieblingsmusik jedes Familienmitglieds automatisch erkennen.

Monica kümmert sich vor allem um die Kommunikation – sie achtet darauf, dass über das Hub regelmäßig berichtet wird, und überlegt mit welchen Inhalten man auf den sozialen Medien noch mehr Interessenten finden könnte. Sie ist eine zurückhaltende Person. Eine, die erst zuhört und dann redet. Das ist wichtig in ihrem Job – denn die Kunden, die sich bei ihr einmieten, sollen sich schließlich hier wohlfühlen. Regelmäßig wird auch miteinander gekocht – „dabei kommen einem oft die besten Ideen“. Sexy Salad nennen sie diese Veranstaltungen. Gerade erst war das italienische Fernsehen da, erzählt sie – nun blinzelt aus den Augen doch ein bisschen Stolz.

Wie aber kam sie überhaupt auf die Idee? Eine Geschichte mit Umwegen: Eigentlich sind ihr Mann Francesco und sie nur aus Nostalgie nach Bilbao gefahren – Francesco hatte da einst ein Erasmus-Semester verbracht. Doch auch ihr hat das Leben in Spanien auf Anhieb gefallen – beide waren ungebunden und frisch aus dem Studium – warum also nicht sein Glück im Ausland versuchen? Francesco arbeitete in einem Startup, Monica im Marketing: „Die Stadt war so sauber, alles hat funktioniert“, sagt sie, „wenn man aus Süditalien kommt, ist man das nicht gewöhnt.“ Trotzdem hat ihnen die alte Heimat gefehlt – die Familie, die heißen, langen Sommerabende.

Der schwierige Weg zur Emanzipation

Eines Tages bekam ihr Mann das Angebot, das Startup auch in Süditalien zu etablieren. Doch wieder zurück in der Heimat, war das Leben plötzlich komplizierter als zu Studentenzeiten. Was wollen sie machen – ein Startup!? Wie soll das gehen und was ist das eigentlich genau? Nicht nur die Familien waren skeptisch. „Wir haben uns ein Ultimatum gesetzt.“ Wenn sich in vier Monaten nichts ergeben sollte, würden sie wieder nach Bilbao zurückgehen. Durch einen Zufall haben sie im Internet schließlich von Coworking erfahren. Das wäre doch ideal – sich mit anderen Menschen zusammenzutun, die ähnliche Ideen und demnach auch ähnliche Probleme haben wie sie selbst.

Bald darauf lernten sie Diego kennen. Er hatte gerade seinen Job gekündigt und wollte nun ebenfalls den Schritt in die Selbstständigkeit wagen; auf einem Event der Stadt Bari schließlich trafen sie Giusy und Angela. Apulien hat unter Präsident Nichi Vendola viel investiert in neue, digitale Strukturen. Junge Startups werden mit EU-Geldern unterstützt, auch die Hub-Gründer haben bereits zwei Kredite aufgenommen. Ob sich die Investitionen auszahlen, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Viele Projekte befinden sich noch in der Anfangsphase – nicht jede Geschäftsidee klingt originell.

Dennoch: Bilbao musste nun erst einmal warten. Und Monica, die eigentlich mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, spricht plötzlich von einem Wink des Schicksals. Denn gerade als die Vorbereitungen gerade anliefen, wurde sie schwanger. „Spätestens da war klar: wir bleiben jetzt erst einmal hier.“ Mit der Hilfe von Francescos Mutter haben sie eine Wohnung in der Innenstadt gekauft. Monica hat sie modern eingerichtet. Viel Ikea – das Apartment könnte ebenso gut auch in Berlin, Amsterdam oder eben Bilbao stehen. Bekommt sie Besuch, entschuldigt sie sich erst einmal für das „Chaos“, dabei ist es perfekt aufgeräumt. Da ist es wieder, das alte Rollenbild. Und hier in Süditalien scheint es für die Frauen noch lebendiger zu sein als anderswo in Europa.

Ganz lösen kann sich auch Monica davon nicht, da mag sie sich noch so sehr mit fortschrittlichen Ideen umgeben. Denn natürlich ist es sie, die die kleine Martina morgens zum Hort bringt und nachmittags wieder abholt. Francesco, der sich mit seinem Startup auch im Impact Hub eingemietet hat, „muss viel zu viel arbeiten“, sagt sie entschuldigend – dabei weiß sie, dass diese Rollenverteilung eigentlich ungerecht ist. Aber sie ist nun einmal niemand, der deswegen gleich das ganze System in Frage stellt. Stattdessen nutzt sie die Chancen, die sich bieten. Gerade hat sie in der Innenstadt eine neue Fläche eröffnet: „Comama“ – ein Treffpunkt für junge Mütter, die konzentriert arbeiten wollen, die Kinder werden währenddessen professionell betreut. Sie selbst ist nach nur fünf Monaten wieder arbeiten gegangen. Natürlich half ihr dabei, dass sie ihre Arbeitszeit im Hub beliebig gestalten konnte. Denn in Italien ist der Berufseinstieg nach einer Schwangerschaft besonders schwer – nicht umsonst hat das Land aktuell die niedrigste Kinderquote in Europa.

Was in zehn Jahren sein wird? Monica weiß es nicht – sie hat sich abgewöhnt, das Leben zu lange im Voraus zu planen. Angefangen hatte sie einst als Moderatorin bei einem Lokalsender – nun ist sie Gründerin und Mama. Vielleicht radelt sie in zehn Jahren immer noch jeden Morgen auf ihrem klapprigen Fahrrad ins alte Industrieviertel – vielleicht ist sie aber auch Hausfrau oder hat eine Festanstellung – alles scheint denkbar. Und wenn das alles nichts wird, gibt es da ja auch noch Bilbao…

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